Via Rhôna: Camargue, Avignon, Ardèche

Sind es wirklich schon vier Wochen, seit dem letzten Eintrag? Wir sind doch kaum voran gekommen. So konnten wir Christians Ellenbogen etwas Ruhe gönnen, da wir wieder einen festen Termin vor uns hatten und uns die Zeit bis dahin einteilen konnten. Das hat der Schwellung gut getan, auch wenn es insgesamt vier Wochen braucht, bis Entzündung und Infektion abgeklungen sind. Also ganz gut, dass es eine kilometerarme Zeit war. In Montpellier bummeln wir durch die Gassen mit vielen schönen Geschäften, entdecken versteckte Plätze mit gemütlichen Restaurants. Wir setzen allerdings wie gehabt auf die Kombination von selber kochen und Lebensmittel via To Good to Go retten. Montpellier wächst in Richtung Meer, man kann sehen, wohin das Geld fließt. In den alten Stadtvierteln sehen nur die Kirchen wie sandgestrahlt aus, der Rest gammelt ein bisschen vor sich hin. Ein krasser Gegensatz dazu ist das Anitgone-Viertel im neo-klassizistischen Stil. Hier soll man als Besucher beeindruckt, gradezu erschlagen werden von der Wirkung der Gebäude.

Wir bewegen uns nun wieder auf den großen Radreisefernwegen. Der Mittelmeerradweg und die Via Rhôna überschneiden sich einige Kilometer. Auf dem Weg nach Marseille, von wo aus wir fliegen, geht es durch die Camargue. Campingplatz reiht sich an Campingplatz, Reitstall neben Reitstall. Wir wissen, dass wir uns bald vom Meer verabschieden werden und legen einen Strandtag ein. Dann fahren wir über die Deiche durch die salzige Landschaft. Die Kruste knirscht wie Schnee unter den Füßen, viele Libellen sind unterwegs, nach Flamingos halten wir vergeblich Ausschau. Ein schwefeliger Geruch liegt über allem. Die Ruhe ist fast schon bedrückend, wir hätten hier viel mehr Vögel erwartet. Aber die Farben sind toll, in dunkelgrauem Sand windet sich der rosa Salzfluss und bildet weiße Krusten, daneben stehen gelbe, lilia, ockerfarbene Sträucher.

Ein letztes Mal fahren wir am Strand entlang, als wir nach Marseille zu unseren Gastgebern hineinrollen. Sie hatten uns vorgewarnt, dass die Stadt den „rostigen Nagel“ als fahrradunfreundlichste Stadt des Landes gewonnen hat, es ist tatsächlich eine reine Autostadt. Bei Katja und Olivier können wir Räder und Gepäck im Keller unterstellen, während wir mit meiner Mama in Deutschland anstoßen. Vorher haben wir aber einen sehr gemütlichen Abend zusammen und werden mit Aussicht auf den Sonnenuntergang überm Meer mit einem 5-Gänge-Menü verwöhnt. Nach unserer Rückkehr bleiben wir noch zwei Nächte und spazieren einen Tag durch die älteste Stadt Frankreichs. Am alten Hafen verbringen wir viel Zeit, später schauen wir uns „Yesterday“ in einem kuscheligen kleinen Kino an.

Nun wenden wir dem Meer den Rücken zu und arbeiten uns aus dem Talkessel hinaus, fahren entlang eines steilen Bergrückens in Richtung Avignon. Kurz bevor wir die Stadt erreichen, knackt es metallisch unter mir. Wir stoppen und stellen fest: nicht nur eine Speiche ist gebrochen, sondern meine Felge an zwei Stellen gerissen. In dem Zustand ist an eine Weiterfahrt nicht zu denken, wir fixieren die lose Speiche notdürftig und rollen vorsichtig zum Zeltplatz. Ohne Gepäck versuchen wir dann einen Radladen zu finden, der uns helfen kann. Das ist im August, erst recht zu Mariä Himmelfahrt nicht so einfach, viele Läden sind in den Ferien, der Rest hat kein passendes Rad auf Lager. Schließlich finden wir einen Laddeninhaber, der uns ein neues Rad bestellt und später auch einbauen wird, dafür will er nur die Materialkosten. Eine Lösung ist also schnell gefunden dauert nur ein paar Tage, dabei wollten wir doch endlich mal wieder Strecke machen! Kurz will Frustration aufkommen aber ehrlich: man kann kaum schöner stranden, als in Avignon. Die Stadt ist so schön und bietet viel. Die Altstadt des ehemaligen Papstsitzes erstreckt sich in vielen Gassen um den Papstpalast, einige Museen sind kostenfrei und jeden Abend werden auf vier Plätzen in der Stadt Licht- und Videoinstallationen abgespielt. Wir fahren eine Runde mit dem Riesenrad und betrachten die Stadt von oben. Auf der anderen Seite der Rhône liegt Villeneuve, die Neustadt zur alten Papststadt und Verteidiger Frankreichs gegen das heilige römische Reich. Wir haben also wirklich keinen Grund zu klagen und können uns gut unterhalten, bis die Reise weitergehen kann.

Zwischenzeitlich kühlt es sich stark ab, fast schon herbstliche Bedingungen herschen, als wir uns bei starkem Gegenwind auf der gut ausgebauten Via Rhôna ins Ardèche begeben. Wir folgen dem Fluss und wechseln immer wieder zwischen den angrenzenden Departements Ardèche und Drôme hin und her, hier wurde viel Geld in die Fahrradinfrastruktur investiert. Über wunderschöne Brücken führt der Weg weit weg vom Straßenverkehr durch die grüne Wildnis, saftige Obstplantagen und Weinstöcke. Ein Hauptsponsor des Weges ist der hiesige Energieerzeuger, an dessen Wasserkraftwerken wir vorbeikommen. Als der Wind nachlässt, fliegen die Kilometer unter uns hinweg. Die hängenden Köpfe der Sonnenblumen betrauern den Abschied des Sommers, aber noch bleiben uns hoffentlich ein paar schöne Wochen auf unserem Weg nach Norden.

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