Ein Jahr Ausstieg

So, nach acht Monaten gemeinsamen Reisens ist wechselt mal der Autor und ich will ein paar meiner Gedanken über das letzte Jahr mit Euch teilen. Dabei will ich mich nicht wiederholen, ich finde Caro vermittelt einen sehr guten Eindruck davon wie unsere Reise abläuft und alle Artikel des Blogs entstehen am Ende in einer gemeinsamen Arbeit. So fließen auch immer meine Gedanken und Ideen mit ein. Für mich begann das Abenteuer ja viel kurzfristiger. Wie sicher viele wissen, sind wir uns erst Ende 2017 beim Krav Maga näher gekommen. Caro war da schon mitten in ihren Vorbereitungen. Anfangs war es nie meine Absicht, sie zu begleiten, das war zu verrückt in meinem Kopf. Ich wollte nie eine „hormongesteuerte übereilte Entscheidung“ treffen. Und ihre geplante Abreise war knappe acht Monate entfernt, wer weiß ob wir uns überhaupt solange verstehen. Aber ich informierte mich auch über das Radreisen, um festzustellen, ob das etwas für mich ist. Erste gemeinsame Überlegungen gingen dann auch eher in die Richtung: Ich besuche Caro auf ihrer Reise und begleite sie abschnittsweise.
Aber es lief zu perfekt zwischen uns und uns beiden war klar: Bei einer zeitlich offenen Reise, ist es nicht sehr sinnvoll, dass Einer auf den Anderen wartet. Zu gleich fragte ich mich selbst immer öfter, wofür lebe ich? Ist es sinnvoll, wie es unsere westliche Gesesllschaft von einem mehr oder weniger verlangt, ein Leben lang seine Arbeitskraft einzusetzten. Ist es der Zweck meines Daseins, Geld zu verdienen und auf ein angeblich besseres Leben in der Rente hin zu arbeiten und mich dem Konsum hinzugeben um kurzfristig glücklich zu sein? Warum soll man sich das Leben nicht im Jetzt zumindest abschnittsweise schon angenehm gestalten!? Klar unsere Wirtschaft funktioniert nur so. Also wägte ich ab: relativ sicherer aber dafür auch relativ schlecht bezahlter Arbeitsplatz mit viel zu vielen Überstunden, sowie das in Dresden etablierte soziale Leben, gegen ein Abenteuer auf unbestimmte Zeit mit einer frischen Liebe. Die Entscheidung war recht schnell gefallen, beruflich kann ich mich in der derzeitigen Wirtschaftslage vorallem finanziell eigentlich nur verbessern, also wenn alles schief geht, war es immerhin der richtige Schritt in Richtung gerechterer Bezahlung und weitere persönliche Entwicklung. Ich muss hier aber auch betonen, dass das Arbeitsumfeld aus super Kollegen bestand und einen sehr spannenden Aufgabenbereiche abdeckte. Anderseits bleibt nicht viel für die Rente übrig und wer weiß ob und wann ich diese je erreiche. Die Überlegung aus finanzieller Sicht war also einfach, lieber jetzt das wenige Geld ausgeben das man hat. Die soziale Komponente war da schon schwieriger. Die Familie eine Stunde Zugfahrt entfernt, die besten Freunde, fast alle in der gleichen Stadt. Anderseits ergibt sich auch hier ein Wandel mit der Zeit. Ein jeder ist in seine Arbeit eingespannt, froh wenn er mal Zeit für sich und seinen Partner hat und die Anzahl der Kinder im sozialen Umfeld nimmt mit Anfang 30 auch eher zu, also sieht man Freunde auch seltener und feiert nicht mehr bis in die Nacht. Also warum nicht gemeinsam mit Caro aus dem Hamsterrad ausbrechen und sehen was passiert.
So war nach langem Abwägen -Ende März 2018- der Entschluss gefasst, ich riskiere es, kündige Wohnung, Arbeit und Reise um die Welt mit meiner frischen großen Liebe.
Logischerweise traf diese Entscheidung nicht nur auf Begeisterung, dem Arbeitgeber fällt auf einmal auf, dass man eventuell doch einen großen Wert für das Unternehmen hat, Freunde und Familie, die es noch cool und mutig fanden, dass Caro so etwas alleine machen will, halten einen auf einmal für verrückt, weil man doch alles aufgibt und mit will. Egal, der Entschluss war gefasst und ich musste mich um soviel kümmern in kürzester Zeit:

  • Kündigung von Arbeit und Wohnung
  • Auflösung des Haushaltes
  • Versicherungen, Behörden usw.
  • Zusammenstellung der Ausrüstung

Schnell wurde klar, bis zu Caros Startdatum schaffe ich das nicht Alles. Und wir dachten auch beide, es ist sicher nicht verkehrt wenn Caro erstmal solo ihre Erfahrung sammelt, schließlich war es ja auch ihr Projekt und sie wollte alleine auf große Tour gehen.
Die Reisekasse füllte sich durch den Verkauf eines großen Teiles des Hab und Gutes. Gleichzeitig war die Trennung von all den materiellen Dingen in geistiger Hinsicht eine extrem befreiende Sache. Außer hin und wieder ein Bett oder eine Badewanne vermisse ich bisher nicht wirklich etwas von all dem Zeug.
Gute fünfeinhalb Monate später, im September 2018, war das Fahrrad verpackt und alles organisiert. Caro kam für eine Hochzeit nochmal nach Dresden und gemeinsam flogen wir dann nach Bordeaux. Ok Fahrrad zusammengebaut, der erste Schock, es gab Schäden beim Transport, der Bowdenzug der hinteren Schaltung war angerissen, egal die Schaltung funktionierte erstmal noch, also was solls, schauen wir wie lang er hält (hat am Ende in diesem Zustand über 5.000 km).

Wir machten uns ein paar schöne Tage in Bordeaux und es fühlte sich alles mehr wie Urlaub an, als wie ein komplett neuer Abschnitt meines/unseres Lebens. Wir beide fanden trotz eines Monats Abstinenz recht schnell wieder zu einander, damit war meine größte Sorge -Caro überlegt es sich anders in Bezug auf mich, während sie alleine auf dem Fahrrad sinniert- erstmal gebannt.
Der Süden Frankreichs begrüßte mich als Einsteiger ins Radreisen sehr entspannt. Bei sommerlichen Temperaturen ging es meist auf ruhigen, schattigen Wegen entlang von Kanälen und Flüssen. Es gab viele Radreisende und auch die Übernachtungsplätze waren zum Teil speziell für diese angelegt. Wir fanden unseren Trott, organisierten das Gepäck neu und hatten auch Spaß am gemeinsamen Reisen. Irgendwie dachte ich das geht immer so weiter. Ok auf dem Weg nach San Sebastian, wurde das Pyrenäenvorland dann hügeliger und die Etappen anstrengender. Wir überlegten damals noch ob wir nicht doch zu viel Gepäck haben. Doch was haben wir eigentlich dabei?

  • jeder eine Tasche mit Klamotten
  • Eine Tasche mit Ersatzteilen und Werkzeug
  • Eine Tasche mit Essen
  • Eine Tasche für die Hygiene, erste Hilfe, Sonnen- & Insektenschutz
  • Eine Tasche ist die Küche, mit Töpfen, Kocher und Klappstühlen
  • Und dann müssen auch noch Schlafsack, Isomatten und die eine oder andere Kleinigkeit untergracht werden.
Komplett Beladen
Komplett Beladen

Zufällig fanden wir in diesen Tagen eine freie LKW Waage mit Digitalanzeige, einfach mal draufgestellt: Uff wir und die Ausrüstung wiegen zusammen um die 240 Kg, sofern die Anzeige korrekt war. Damals hatten wir hinter dem ein oder anderen Ausrüstungsgegenstand durchaus noch Fragezeichen und philosophierten was wir eventuell zurückschicken oder verkaufen könnten.
Doch nach unserem Aufenthalt in San Sebastian zeigte sich schnell, wir brauchen alles. Zumindest die Klamotten, es wurde sehr schnell kalt und auch regnerisch. Im Oktober hatten wir das erste Mal Eis auf dem Zelt und auf einmal waren die Taschen deutlich leerer, weil wir fast alles an hatten.
So langsam begann ich mich dann auch intensiver mit der Technik auseinanderzusetzen. Inbesondere die Bremsen, zeigten doch recht schnell Verschleißerscheinungen in der nordspanischen Berg- und Talfahrt und kamen bei unserer Beladung auch schon mal an die Limits. Hier ist unbedingt regelmäßge Wartung angesagt. Caro ist froh, dass sie für das Technikzeugs ihren Ingenieur dabei hat, sie meinte nur, sie bräuchte immer guten Internetempfang für die Youtube Tutorials, als wir unseren ersten Platten hatten.
Inzwischen haben die Räder über 9.000 bzw. 7.000 km hinter sich. Und wir haben diverse Schläuche und Bremsbeläge verschliessen, zwei Mäntel, sechs Speichen und zwei Bowdenzüge gewechselt, mein Licht geflickt (ich möchte meinen Nabendynamo für das Frontlicht und die USB Ladefunktion nicht missen, doch ein baterriebetriebenes Rücklicht wäre aufgrund der häufigen Kabelbrüche wohl die sinnvollere Ergänzung gewesen). Mehrmals Satteltaschen repariert und intensiv den Brenner in Einzelteile zerlegt und gereinigt. Die Werkzeugtasche ist also auch nicht überdimensioniert. Zumal die meisten Reparaturen immer dann nötig sind, wenn an einem Sonntag die nächste Werkstatt mindestend 30 km oder mehr entfernt ist.


Zwischenzeitlich hat sich herausgestellt, dass wir doch auch schon in einem bequemen Alter sind und ein gewisses Sicherheitsgefühl um uns haben wollen. Also sind wir häufiger Gäste auf Campingplätzen als wir das urspünglich geplant hatten, aber eine warme Dusche aller zwei bis drei Tage ist doch angenehm und unter Bewachung schläft man einfach ruhiger. Und in allen bereisten Ländern ist die Infastruktur inzwischen auch entsprechend gut ausgebaut. Zumal Leute im Zelt für die Behörden leider etwas anderes sind als Caravans. Während es im Winter geduldet wird, wenn der Camper in Spanien auf einem öffentlichen Platz steht, solange keine Markisse ausgefahren wird, ist es mit einem Zelt anders, hier besteht immer die Gefahr, dass man des Nachts abbauen und in das nächstbeste Hotel umziehen darf. In Marokko ist es aufgrund des letzten Terrorismusaktes leider inzwischen ähnlich, wildcampen wird nicht mehr gedultet (zählt auch für Caravans, wie uns gesagt wurde), sofern man nicht direkt neben der Polizeistation schlafen kann.
Dennoch erweitert die Reise auch den Horizont ungemein und ich betrachte die Welt mit anderen Augen. Ökologisch ist es der Wahnsinn, was wir unserem Planeten antun. So kann man anhallten wo man will, wir haben noch keinen Platz auf der Reise gefunden, wo nicht ein Stück Müll in Sichtweite liegt. Der Süden Marokkos aber auch das Spanische Inland trocknet aus, und man kann den Wassermangel an verlassenen Farmen, vertrockneten Brunnen und Wasserläufen überall erkennen und bekommt es auch immer wieder von Einheimischen erzählt, wie sich das aufs tägliche Leben auswirkt (Im Moment warte ich gerade darauf, dass das Wasser angestellt wird, damit ich mir mal kurz den Diesel- und Sandstaub von der Haut waschen kann). Hier habe ich für mich festgestellt, dass ich bewusster mit den Ressourcen umgehen möchte und bin auch der Meinung, ein jeder kann auf seiner Art etwas beitragen, ohne komplett zu verzichten. Auch hadere ich mit der Branche aus der ich eigentlich komme. Wenn einem zum Beispiel auffällt, dass rund um Ledesma (Spanien, nahe Salamanca) einem Ort wo laut der Bevölkerung eigentlich die Wolken sterben, alles voller Reste von Kondensstreifen ist, fragt man sich schon: Sollte der Luftverkehr in der jetzigen Form fortbestehen oder wir statt auf ständiges Wachstum lieber mehr auf Nachhaltigkeit setzen und einmal mehr Nachdenken bevor man den Wochenendttrip für 30 Euro bucht. So eignet sich die Reise für uns beide auch um immer wieder einzeln oder gemeinsam über die Zukunft nachzudenken, wo will man hin, was will man erreichen.


Gleichzeitig ging es mir zumindest so, dass ich dachte, Deutschland sei ein modernes Land. Und auch wenn wir im Prinzip erst vier Länder durchreist haben, kann man sich einiges abschauen. So werden ganze Städte gesäubert und renoviert, vielerorts fahren die modernen Straßenbahnen in den Altstädten ohne Oberleitung, damit die Sicht nicht verbaut ist. Immer wieder gibt es gut ausgebaute Radwege über lange Strecken, die über Regionalgrenzen hinweg geführt werden. Anderseits hat man es oft auch nur mit gutem Willen versucht und wenn bei 20 cm hohen Bordsteinen nix abgesenkt ist, ist der Radweg auch wieder nutzlos. Die Infrastruktur in Marokko ist top, wir dachten wir fahren nur auf Staubpisten, letztendlich waren die Straßen in Spanien und Portugal oft schlechter. In Marokko kommen auch unsere Navigationsapps mit dem Straßenausbau nur bedingt hinterher und das, obwohl nahezu das ganze Land mit 4G-Funknetz abgedeckt ist (zu unglaublich günstigen Preisen) und wir immer die aktuellsten Karten nutzen können.

Ein guter Radweg endet im Nichts
Ein guter Radweg endet im Nichts

Marokko hat weitestgehend ein Plastiktütenverbot umgesetzt, während in Europa noch diskutiert wird, wie eine Reduktion des Plastiktütenverbrauches in den nächsten Jahren stattfinden kann. Gleichzeitig sieht man aber auch in Marokko wo fehlende Abgasnormen hinfüren, gerade an Hauptstraßen und in der Nähe von Städten bekommen wir einen Sonnenschutz aus Ruß (vorallem dank der vielen chinesischen Motorroller, die seit ein paar Jahren den Markt überfluten, aber auch weil nahezu jeder scheinbar seinen Partikelfilter ausbaut). Und das obwohl die Autos hier recht neuwertig sind, manch rumänischer oder französicher Konzern scheint seine Jahresproduktion an Kastenwagen in Marokko abzusetzen. Gleichzeitig ist es ein Genuss unser Gemüse auf dem Markt zu kaufen und überrascht zu sein, wie intensiv Karotten, Kartoffeln und Co schmecken können, wenn sie aus kleinem lokalen Anbau kommen.
In Summe lässt sich aber feststellen, das Reisen macht einen riesen Spaß, wir erweitern ungemein unseren Horizont und lernen bisher viele gute und nette Menschen kennen, gerade abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Leider gibt es auch die negativen Erfahrungen, vorallem mit der Jugend, sei es, dass wir beschimpft werden oder im Kiosk auf einmal das dreifache für den täglichen Einkauf zahlen sollen, man ist ja der reiche Westler, der für die gefühlte Ungerechtigkeit verantwotlich gemacht werden kann. In Summe war es für mich persönlich aber die beste Entscheidung, die ich vor rund einem Jahr treffen konnte, ich hab mich noch nie so frei und entspannt gefühlt.

Doch wir beide wissen auch, es kann und soll nicht ewig so weitergehen und irgendwann werden wir das Zelt auch wieder gegen eine Wohnung eintauschen und wir werden auf die ein oder andere Art wieder Geld verdienen.

Viele liebe Grüße von uns an all die Daheimgebliebenen.

5 Kommentare zu „Ein Jahr Ausstieg“

  1. Das hätte ich nicht besser sagen können, Nora. 🙂 Ich möchte euch noch mitgeben, dass ihr diese Gedanken nicht nur bei euch anstoßt, sondern sicher auch bei euren fleißigen Lesern. Danke dafür.

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  2. Es ist immer wieder schön, eure Reiseberichte zu lesen, sowie die Bilder im Status zu verfolgen. Man hat das Gefühl man ist dabei, macht weiter so. Christian, Du hast es auf dem Punkt gebracht, man braucht nicht viel um glücklich zu sein. Man stellt fest ,dass die Reise euch schön sehr geprägt für die Zukunft. Macht euren Weg und seit glücklich, es kann euch keiner die vielen schönen Erlebnisse , Eindrücke und die lieben Menschen die ihr kennengelernt habt nehmen. Ich bin stolz auf dich, seid umarmt und liebe Grüße die Eltern

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  3. Hallo und Moin! Meine große Reise für mindestens 2 Jahre beginnt Ende Februar von Hamburg Richtung Rio De Janeiro mit einem Containerschiff mit Rad-Anhänger-Taschen! Dann irgendwie nach Lima/Peru kommen, ab da mit dem Rad nordwärts, Endziel ist der Yukon. Ich sauge mit Begeisterung und Wissensdurst sehr gerne Reiseberichte anderer ein, um Infos zu bekommen. Euch wünsche ich auch noch viele schöne Reisen! Liebe Grüße von Stephie, 10.1.2020

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    1. Hallo, danke für deinen lieben Gruß. Wir können kaum die Füße still halten und würden am liebsten wieder los 😉 dein Vorhaben klingt toll, viel Spaß und tolle Erlebnisse & Begegnungen!

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