Sonne, Sand und Schnee – Marokko III

Da sind wir wieder. Am 08.05. sind wir nach 10 Wochen, ca. 3.000 km Strecke und etwa 25.000 Höhenmetern durch Marokko in Ceuta wieder auf die Fähre in Richtung europäisches Festland gestiegen. Unsere letzten 200 Dirham sind wir nicht mehr losgeworden, da gerade der Ramadan begonnen hatte und wir kein geöffnetes Café finden konnten. Bevor wir Ende Februar den Kontinent gewechselt haben, hatte jemand unser Vorhaben damit kommentiert, dass in 14 km Entfernung eine ganz andere Welt auf uns warten würde. Gefunden haben wir eine wundervoll vielfältige Landschaft, sehr viel sehr süßen Minztee (grüner Tee mit Minze), Berbertee (grüner Tee mit Rosen, Nelken, Kardamom, Zimt, …), Karawanentee (grüner Tee mit Safran), Tajine und Couscous, Hock-Toiletten und eine Bevölkerung, deren Generationen sehr unterschiedlich mit den Touristen umgehen.

Ohne Motor und Blechkäfig sind wir für die Menschen, die wir treffen im wahrsten Sinne sehr greifbar unterwegs, auf diese Weise bekommen wir vermutlich ein umfassenderes Bild der Bevölkerung, als Reisende, die andere Transportmittel nutzen. Wir können uns die Kontakte nicht immer aussuchen. So nehmen wir die Kinder nicht nur fröhlich und winkend, sondern auch fragend, fordernd, bettelnd und aufdringlich wahr. Das reicht vom Abklatschen bis Diebstahl vom fahrenden Rad. Wie die Elstern bauen die Kinder alles, was sie erreichen können ab. Unser Herbergsbetreiber nach dem Pass der Dades-Schlucht erklärt uns das Verhalten der Kinder, das sich der Tourismus selbst heran gezüchtet hat: er sagt, dass spanische Touristen in 4×4-Autos wie beim Kölner Karneval Bonbons an die Kinder verteilen, die mittlerweile unterschiedslos von allen durchkommenden Touristen Geschenke fordern. Bonbons, Stifte, Geld. Wir können aber nicht einfach die Fenster schließen und Gas geben, wir müssen durch die Dörfer durch und in manchen Teilen des Landes fühlt sich das an wie ein Spießrutenlauf.

Die ältere Generation ist sehr stolz auf ihr Land und ihr Volk, Berber, wie Araber. Sie empfinden sich als großzügig, gastfreundlich, solidarisch und genügsam. Grade bei den jungen Erwachsenen haben wir einen anderen Eindruck, was bei einer globalisierten Welt in der sich jeder mit jedem vergleichen kann aber nicht jeder die gleichen Möglichkeiten und Freizügigkeiten hat auch nicht wundert. Wir sind herzlich begrüßt und zum Tee eingeladen worden, wir haben das Doppelte für unsere Einkäufe bezahlt, uns wurden in steilen Serpentinen Bananen, auf staubigen Strecken Mandarinen oder Gemüse auf dem Markt geschenkt, wir wurden mehrfach preislich übervorteilt, weil wir zu müde zum Handeln waren. Oft bleibt der schale Geschmack, dass wir weniger aus Interesse an unseren Personen, den Rädern oder der Reiseart angesprochen werden, sondern aus Interesse an einem Geschäft mit uns. Ich bin aber immernoch in Kontakt mit einem Campingplatzbetreiber, einem Schmuckhändler und einem Schulmädchen, die sich alle regelmäßig nach unserem Vorankommen und der Gesundheit erkundigen.

Auf den Souks in Essaouira, Marrakesch oder Fes werden überall die gleichen Schuhe, der gleiche Schmuck, die gleiche Keramik angeboten, die bunten Farben der aufgetürmten Gewürze, der Schals und der Lederwaren bilden aber eine tolle Kulisse. Die nomadische Art Vieh zu halten hält sich nach wie vor, auch wenn mir die zusammengebundenen Vorderbeine, um ein Ausbüxen zu verhindern nicht gefallen, immerhin erfahren diese Tiere Luft, Sonnenlicht und pflanzliche Nahrung. Frauen und Esel schleppen unglaubliche Lasten, Männer verkaufen in Kiosken und arbeiten in kleinen Werkstätten. Frauen tragen Vollverschleierung, Kopftücker, Röcke, Schürzen und große Strohhüte mit bunten Bommeln, in den Städten Jeans und schulterfrei. Männer tragen Berbermäntel mit spitzen Kapuzen, lange weiße Gewänder, in den Städten Jeans und Jogginganzug.

Marokko wird auch das Land der Jahreszeiten genannt und für uns waren Winter, Frühling und Sommer alle dabei. Mit langer Kleidung schützen wir uns auf dem Weg aus der Steinwüste von Zagora nach Agdz, wo ich auf der Straße von einem Mann angesprochen werde, während Christian beim Bäcker ist. Nach allgemeinem Geplänkel fragt er mich, ob ich ihm beim Übersetzen eines Briefes helfen kann. Wir stellen die Räder vor seinem Souvenirgeschäft (und ja, in dem Moment dachte ich mir, aha, wieder auf den Leim gegangen) ab und betreten das Hinterzimmer. Er diktiert mir einen Brief an seine Freunde Manfred und Peter, die für eine Organisation von Augen- und Zahnärzten arbeiten, die jedes Jahr im September nach Marokko kommt. Es folgt eine Liste mit benötigten Medikamenten (Augentropfen, Sonnencreme, Paracetamol gegen Zahnschmerzen). Danach trinken wir zusammen mit seinem Cousin, der grade nach drei Monaten Schmuckeinkauf im Saharadreieck Marokko-Mauretanien-Mali zurückgekommen ist, Tee. Wie der Schmuck aussieht? Kann man jetzt an unseren Handgelenken sehen 😉 Wir dürfen uns ein bisschen verkleiden und bekommen ein Abschiedsfoto, bevor wir uns an diesem Tag einen Doppelpass in Angriff nehmen.
Wir besuchen die alte Berberstadt und Unseco Weltkulturerbe Ait Ben Haddou, die auch Kulisse für die Sklavenstadt bei Game of Thrones stand. Es ist eine große Kasba, die gut erhalten wird und sich in den letzten Jahren zu einem touristischen Anziehungspunkt entwickelt hat. Ansonsten unterscheidet sie sich aber kaum von dem Dorf, in dem wir einen Tag Pause einlegen, bevor wir uns wieder durch den Atlas kämpfen wollen. Wir spazieren durch das Labyrinth der ummauerten Grundstücke und Anbauflächen, die durch Wasserkanäle versorgt werden. Obwohl wir ein Ferienhaus gemietet haben, ziehen am Abend, an dem Notre Dame brennen wird, noch zwei französische Paare ein. Wir nehmen das achselzuckend hin, da wir hier ohnehin nicht die Ruhe gefunden haben, die wir suchten und bestaunen gemeinsam den Palmenscherenschnittausblick von der Dachterrasse aus. In den folgenden Tagen wird sich rausstellen, dass wir wohl beim falschen „Chez Slimani“ eingekehrt sind, kann ja passieren, wenn die Nachbarn nicht kreativer in der Namensgebung ihrer Gasthäuser sind. Christian muss eine Menge Klarstellungsarbeit via Booking-Portal leisten.

Auf dem Weg zu unserem höchsten Punkt der Tour durchfahren wir das Safrantal, das Mandeltal und das Rosental. Zwischen zwei Tälern liegt eine Hochebene, über die wir total clever abkürzen, bzw, Höhenmeter sparen wollen. Am Ende schieben wir kilometerweit endlos genervt über eine grobe Schotterpiste. Dafür kommen wir an diesem Abend im Garten eines feinen kleinen Hotels unter. Das ist fast immer so: es ist nie alles schei…… In einem langsamen, stetigen Anstieg durchfahren wir das Dadestal, mit den knubbeligen Affenfinger-Felsformationen und dem kurzen, steilen Anstieg über enge Serpentinen hinauf zur Dadesschlucht. Erst am Ende des Tages wird mir klar, dass diese Serpentinen DIE Serpentinen sind, die als eine der spektakulärsten Straßen der Welt gehandelt werden. Hm. Wie das so ist, ist vieles nicht so heiß, wie es gekocht wird. Wegen der ganzen Touristenbusse haben wir am höchsten Punkt nicht angehalten, aber von diesem Wegabschnitt gibt es ja ohnehin schon genug Fotos im Internet. Hinter der schmalsten Stelle der Schlucht übernachten wir und werden so von den steilen Wänden vor sintflutartigen Regenfällen geschützt, die auf unserer Seite nur in Form von kleinen Schauern ankommen. Den zweiten Klettertag fahren wir zusammen mit zwei Osterradlern, die mit sportlicheren Rädern und leichterem Gepäck unterwegs sind. Während wir am Ende des Tages im Garten einer Herberge zelten, haben die beiden es geschafft, vom Überwachungsradar zu verschwinden und wild zu campen. Unser Herbergsvater fragt uns, wann denn wohl unsere Freunde kämen, die wir vorher nie erwähnt hatten. Über Telefon halten sich Polizei und Unterkunftsinhaber gegenseitig auf dem Laufenden zum Verbleib von Individualreisenden. Wir werden sie am nächsten Tag weit vor uns noch einmal sehen, während wir die 17 km zum knapp 3.000 Meter hoch gelegenen Pass bei Sonnenschein und leichtem Schneefall bearbeiten.

Nach dem Aufstieg aus den trockenen Wüstentälern in die kalte Bergwelt wird es nun immer grüner, je weiter wir uns wieder nach unten arbeiten, was mehrere Tage dauert. Zwischendurch schlafen wir an einem Bergsee, die Campinplatzinhaber zeigen uns Fotos von den Metern Schnee, die noch vor ein paar Tagen hier lagen. Auch diese Nacht ist empfindlich kühl und wir werden eingeladen, zusammen am Feuer zu sitzen und teilen uns später noch die wohl beste Tajine unserer Zeit in Marokko. Irgendwann in den folgenden Tagen spüren wir geradezu, wie wir die Luftschicht wechseln, es wird wieder warm, es wachsen wieder Palmen und Oleander. Die Landwirtschaft wird ertragreicher und professioneller.

Es liegt ein sehr schöner Streckenabschnitt vor uns: in der charmanten Bergstadt Azrou machen wir halt und legen einen Waschtag ein, Christian wartet die Räder. Auf dem Weg nach Ifran, der marokkanischen Schweiz, wie man uns sagt, durchfahren wir den Wald der Berberaffen und sind zur rechten Zeit am rechten Ort, als eine Horde? Familie? Gruppe? die Hauptstraße kreuzt und sich Zeit dabei lässt. Babies klammern sich an ihre Mütter, junge Affen lassen sich lausen, springen Besuchern aufs Auto, versuchen sich an Flaschenverschlüssen. Wir stehen und schauen 🙂 Als sie weiterziehen, machen wir uns auf den Weg nach Fes.

Wir haben eine Unterkunft in der alten Medina gebucht, besuchen die Gerberei, die Koranschule, die Hügel vor der Stadt. Unser Aufenthalt verlängert sich ungeplant, da es erst Christian und dann auch mich erwischt. Erst quält sich Christian mit Magen-/Darmkrämpfen und als er in den Morgenstunden langsam zur Ruhe kommt, entschließt sich mein Körper auch dazu, vorsichtshalber alles loszuwerden, was giftig sein könnte und verbrennt den verbliebenen Rest am Folgetag mit steigendem Fieber. Wir verlängern um einen Erholungstag und sind froh um unser Zimmer mit eigenem Bad, auch wenn dessen Wände nicht deckenhoch sind. So lernt man sich auch besser kennen.

Wir verlassen endlich Fes und haben noch eine touristische Attraktion für uns zu entdecken: die blaue Bergstadt Chefchaouen im Rifgebirge. Auf dem Weg dorthin gibt es auf unserer Strecke keinen Campingplatz. Da wir keine Lust auf Verstecken und eine unruhige Nacht haben, melden wir uns selber bei der Polizei und fragen nach einem sicheren Stellplatz. Im Garten einer Behörde dürfen wir zelten und deren Dusche benutzen. Wir bekommen Tee, Brot und Öl und während ich koche, bestaunt einer der Herren, die hier arbeiten die Enge unseres Zeltes und unser fleischloses (?!) Abendessen. Er lacht sich kaputt über unseren Gemüsetopf und macht uns vor, wie in ein paar Tagen die fastenden Muslime tagsüber heimlich essen, wenn Ramadan losgeht. Dabei verkriecht er sich kichernd in seiner Jacke. Chefchaouen wird unerwartet entspannt. Die blauen Wände, Stufen, Gassen und Treppen erwecken den Eindruck, sich in einem Pool zu bewegen, der optische Effekt der vielen Blautöne ist toll und macht gute Laune.

Über einen letzten Berg im Rif-Gebirge müssen wir noch, dann sind wir an der Küste. Das erste Mal Mittelmeer auf unserer Reise. Wir fahren durch die gepflegten Küstenorte nach Ceuta, an der Grenze wird Christian deutlich öfter als ich nach seinem Pass gefragt, aber wenn der dunkelrote deutsche Pass winkt, wird nicht weiter kontrolliert.
Dann sitzen wir an Deck der Fähre und verlassen den afrikanischen Kontinent wieder.
Marokko war körperlich aber vor allem mental anstrengend für uns und zum Ende hin hatten wir immer häufiger das Bedürfnis nach Ruhe und einer Pause. Die Anstrengungen zehren an den Nerven, die ständige Aufmerksamkeit, die wir auf uns ziehen, das Gefühl, übervorteilt zu werden. Irgendwo muss der Stress ja hin, wir bemerken einige Überempfindlichkeiten aneinander. Zurück in Spanien nehmen wir uns eine Woche Urlaub, zum runterkommen, zum gammeln, füreinander. Was bleibt ist das definitive Vorhaben, Marokko wieder zu besuchen, nächstes Mal aber ohne Fahrrad. Denn die vielseitige Landschaft, die tolle Infrastruktur und die trotz allem günstigen Unterkünfte machen Marokko zu einem perfekten Roadtrip-Abenteuerland.

Hinterlasse einen Kommentar