Heiß und hügelig – Andalusien

Zurück in Europa empfängt uns Spanien mit seinen wunderschönen Hügeln. Bevor wir nach Marokko übergesetzt sind, war keine Zeit mehr, Gibraltar zu besichtigen, das holen wir jetzt nach. Von Algeciras aus kurven wir durch die Hügel zu einem Campingplatz, der kurz vor der Linea de la Concepcion direkt am Strand liegt. Wir machen uns auf den Weg zum Felsen und schaffen so in zwei Tagen, zwei Kontinente und drei Länder zu besuchen. Gibraltar wirkt wie ein britischer Themenpark, nur gibt es keinen Linksverkehr und man muss nicht zwangsweise in Pfund zahlen. Zunächst fahren wir entlang der Küste. Als wir ein paar Fotos von den bunten Ferienhäusern machen, erzählt uns ein trauriger Bewohner, wie vor einigen Jahren die Küste noch mit Wildblumen übersät war, wo wir jetzt nur noch Steine und eine Mülldeponie sehen. Wir wählen das Basispaket für den Upper Rock, das Naturreservat. Verschiedene Wege sind nach Interessenschwerpunkten angelegt. Wir klettern die Mittelmeerstufen hinauf, haben den schmalen Pfad fast für uns allein und stellen uns vor, wie früher die Soldaten hier Streife bei Wind und Wetter laufen mussten. Die Aussicht ist großartig aber bei Sturm und Regen möchte ich mir die Klettertour nicht vorstellen und vermutlich verliert auch das blaue Meer irgendwann seinen Reiz. Je höher wir kommen, umso öfter sehen wir Vertreter der Berberaffen, die wir ja schon einmal treffen durften. Die Affen haben feste Futterstationen, können sich aber frei bewegen. Als wir Pause auf einem Mäuerchen machen, werde ich überprüft, ob sich nicht irgendwo etwas leckeres versteckt, leider hat mein Kleid aber keine Taschen. Den Abend verbringen wir mit einer Flasche Rotwein in kurzen Hosen am Strand und bestem Blick auf den Felsen. Es ist ein großer Genuss, wie selbstverständlich das nun wieder möglich ist.

Trotzdem brauchen wir dringend eine Auszeit und entscheiden uns für eine Unterkunft in Fuengirola. Das ist preislich kaum ein Unterschied zum Campen. Unfassbar, mit welcher Selbstverständlichkeit Preise von bis zu 38 € pro Nacht für eine Parzelle auf Campingplätzen aufgerufen werden, die den Charme eines Parkplatzes an der Autobahn versprühen. Auch der Weg gestaltet sich stressig bis beschwerlich, da es außer einer vierspurigen Schnellstraße keinen durchgehenden Weg entlang der Küste gibt, nur Stichstraßen führen in die Feriendörfer. In Marbella werden wir beim Besuch der Strandpromenade immerhin von Delphinen gegrüßt. Wer mehr Ruhe möchte, muss lange, hügelige Umwege in Kauf nehmen. Wir treffen in den nächsten Tagen verschiedene Radler, die uns Mut machen, wieder mehr auf Wildcampen zu setzen. In der Hinsicht sind wir recht bequem und risikoscheu geworden, wenn wir aber nicht ständig unser Budget überschreiten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig. Zum Glück gibt es aber auch echte Schmuckstücke an Zeltplätzen. Nach unserer Pause (während der ich trotz besseren Wissens die Widerstandsfähigkeit meiner Haut mal wieder völlig überschätzt habe und Christian mich nur noch sein „Rotkniekehlchen“ nennt) drehen wir eine Schleife durch das andalusische Inland. Der Platz liegt malerisch an einem von mehreren Stauseen bei El Chorro und kostet uns 12 bis 15 € die Nacht (je nachdem, wer an der Rezeption sitzt). Wir lassen die Caravanstellplätze hinter uns und bauen das Zelt am Ende einer waldigen Halbinsel auf. Jeder Platz verfügt über einen Steintisch und Bänke. Aussicht, Ruhe und Komfort zu einem vernünftigen Preis, das löst echte Begeisterung bei uns aus. So viel, dass wir diesen Platz sogar zweimal ansteuern werden, obwohl wir sonst nach der „never go back“ Prämisse radeln. Hier in der Nähe ist jedoch der Caminito del Rey, ein prickelnder Wanderweg von knapp 8 km, der an Steilwände gebaut ist. Erst seit Kurzem ist er gesichert begehbar, zuvor war es die reinste Mutprobe. Online sind Tickets auf Monate ausverkauft und spontan werden pro Tag nur 50 Tickets ausgegeben, für die die Besucher jeden Tag bis zu zwei Stunden Schlange stehen und die ab 9.30 Uhr sofort ausverkauft sind. Das erklärt uns eine freundliche Mitarbeiterin, als wir es beim ersten Besuch gegen 16.00 Uhr versuchen. Beim zweiten Mal stehen wir top ausgerüstet ab 8.00 Uhr weit genug vorne in der Schlange, Sonnencreme, Frühstück, Wasser und Tagesverpflegung (da man bei Ausgabe der Tickets nicht weiß, zu welcher Uhrzeit man auf den Weg darf, pro Stunde werden maximal 50 Besucher losgeschickt) sind dabei. Pünktlich 9.30 Uhr wird der Weg dann für diesen Tag wegen starkem Wind geschlossen. Nunja, aller guten Dinge sind drei, wir werden irgendwann wiederkommen und es noch einmal probieren. Vielleicht so wie Caro und Jan, die die Elternzeit für eine Reise mit ihrer Familie im Bus nutzen. Wir dürfen unsere Nasen in den Bus stecken und sind überrascht über das Raumwunder, das fünf Menschen und einen Hund unterbringt. In unseren eigenen Zukunftsüberlegungen spielen Eigenheim und Tiere feste Rollen, damit verbunden aber auch immer die Sorge, ob wir uns die Freiheit, die wir grade leben so überhaupt mal wieder ermöglichen können. Ein Glück treffen wir immer wieder Menschen, die uns zeigen, dass das geht.

Weiter geht es, durch das schattenlose Olivenmeer und über malerische Wege, Teile der Vias verde: alte Bahnstrecken, die mit ihren langsamen, stetigen Anstiegen ideal für Fuß- und Radwanderer sind und mit deren Hilfe wir hin und wieder dem Autoverkehr für einige Kilometer entfliehen können. Es riecht nach Olivenöl und frischem Knoblauch, der gerade auf den Feldern in Handarbeit geerntet wird. Immer wieder rasen Kaninchen panisch über den Weg. Und irgendwo steht eine Ziege meckernd in der prallen Sonne, obwohl der Rest ihrer Herde sich im Schatten aufhält. Ein genauerer Blick stellt fest, dass der Busch auf der anderen Seite vom Zaun leckerer aussah und sie beim knabbern nicht an die zwei Widerhaken auf ihrem Kopf gedacht hat. Ich steige die Böschung hinunter und nach etwas hektischer Skepsis hält sie lange genung still, dass ich sie zurück fädeln kann. Ziegen müssen zusammenhalten.

Wir erreichen Cordoba. Die Stadt ist freundlich zu uns, wir können sie fast ununterbrochen auf Fahrradwegen durchqueren. Mit der Free Walking Tour haben wir dieses Mal weniger Glück: die Gruppe ist viel zu groß, Informationen kommen entweder schwallartig oder zu wenig und der Schulklassenunterhaltungs-Stil des Reiseleiters passt uns nicht. Aber die kleine Kaffeefahrt, bei der beständig andere (Bezahl-)Angebote der Agentur angepriesen werden, bringt uns trotzdem in hübsche Ecken, die wir auf uns allein gestellt vielleicht nicht angesteuert hätten. Den Eintritt von 10 € zur der Moschee-Kathedrale kann man sich sparen, wenn man morgens vor der Messe das Gebäude besichtigt, dann ist der Besuch kostenlos aber sicher nicht umsonst. Immer wieder wurde der Bau erweitert, im Süden begrenzt der Fluss diesen Spielraum. Das zentrale Element einer Moschee soll vorschriftsmäßig mittig und in Richtung Mekka angeordnet werden. Das wäre von Cordoba aus gesehen also an der östlichen Wand. Durch die baulichen Gegebenheiten wandert der Rezitationsplatz jedoch in die südliche Ecke, eigentlich undenkbar. Hier behilft sich die aus Syrien stammende Herscherfamilie zur Zeit des Kalifats mit einem Trick: denn von Damaskus aus gesehen würde Mekka….genau, im Süden liegen und damit ist der Aufbau der Moschee in Cordoba gerechtfertigt. Ein anderer Weg der sich für uns bewährt hat, um Städte auf den weniger touristischen Pfaden zu erkunden ist die Suche nach kompetenten Fahrradläden. 3.000 km durch Marokko hat Christians Hinterrad gut mitgemacht, nun beginnen wieder Speichen zu brechen und von den vielen Gängen sind nur noch wenige nutzbar. Ersatzteile für Tourenräder in Spanien zu bekommen ist aber nicht so einfach, da die Nachfrage für Mountainbikes oder Rennräder den Markt dominiert. Der erste Laden kann uns nicht helfen, verweist uns aber an einen Kollegen. Hier bekommt „Hubertus“, wie Christian sein Rad getauft hat, eine Kompromislösung angeboten, die zwar nicht optimal ist, aber ein Weiterfahren möglich macht.

Wir sind pünktlich zum Start der Feria Festwoche angekommen. Frauen in wunderschönen Kleidern bewegen sich durch die Stadt auf das große Festgelände mit Bühnen, Rummel und Zelten. Im großen „hier gibts alles“-Kaufhaus Carrefour gibt es auch eine Auswahl der schweren, mehrlagigen Kleider, von denen leider keins in mein Gepäck passt. Am ersten Abend wird die Feria offiziell Schlag Mitternacht mit der Erleuchtung des Torbogens und einem Feuerwerk eröffnet. Den nächsten Tag verbringen wir größtenteils auf einer Bank in erster Reihe, von der aus ich die vielen Kutschen und Reitergruppen beobachten kann. Nachdem alle zum dritten Mal an uns vorbeigekommen sind, kann mich Christian überreden, uns auch den Rest des Geländes anzuschauen. Sitzen, essen, Straßenkino und die Sonne genießen, es könnte uns schlechter gehen 🙂

Auf dem Rückweg aus der Bratpfanne Spaniens, dem Gebiet zwischen Sevilla und Cordoba, kommen wir durch Ronda, die Stadt, die man dank ihrer ungewöhnlichen Lage vielleicht schon als Windows-Hintergrund kennt. Sie liegt auf zwei Seiten einer Schlucht, die von der Puenta Nueva überspannt wird. Die Aussicht in die Umgebung ist malerisch, wenn der Wind in samtweichen Wellen über das Getreide streicht oder die gemähten Felder wie mit einem breiten Pinsel gezogen wirken. Wir überwinden die Sierra de las Nieves auf dem Weg nach Malaga und treffen unterwegs einen Niederländer, der in seinem Quatrovelo, das wie ein orangener Sarg auf Rädern wirkt, die Anstiege und Abfahrten bezwingt.

Auf dem Campingplatz vor der Stadt lernen wir Simon kennen. Simon ist am 30. März zu seiner Weltumradelung aufgebrochen, als erstes möchte er Afrika umrunden. Wir tauschen Erlebnisse, Erfahrungen und unsere übrigen Dirhams aus. Es stellt sich raus, dass wir Hilfe vom gleichen Warmshowers-Gastgeber bekommen: Simon kann sein Solarpanel an dessen Adresse schicken lassen, uns nimmt er die Räder und das Gepäck ab, während unseres Geburtstagsbesuchs in Lübeck. Obwohl die Wohnung eigentlich zu klein für Schlafgäste ist, dürfen wir die Nacht vor dem Flug bei ihm verbringen, bekommen Abendessen und Frühstück und werden von ihm auf seinem Weg zur Arbeit zum Flughafen gebracht und nach dem Rückflug wieder abgeholt. Wir bedanken uns mit Niederegger Marzipan und Geschichten von Unterwegs. Meine Oma wird nur einmal 85. Sie wird zwar auch nur einmal 86 oder 112 aber man feiert nunmal am liebsten die runden und halbrunden Geburtstage in kompletter Runde. Deswegen steigen wir am Freitag in den Flieger und unterbrechen die Tour für ein norddeutsches Intermezzo. Wie schon beim letzten Mal, als ich nach fünf Wochen zurück geflogen bin, fühlt es sich völlig surreal an, plötzlich wieder in bekannter Umgebung zu sein, wie ein Paralleluniversum. Nach unserem Rückflug bin ich geschafft jedoch auf eine ganz andere Art als nach einem langen Radtag. Aber wenn Oma mich umarmt und sagt, wie sehr sie sich freut, dass wir es möglich gemacht haben, ist es das so sehr wert.

Zurück in Spanien spazieren wir durch Malaga. Für uns steht nun die Entscheidung über die weitere Streckenplanung an, Inland oder Küste, Frankreich oder Italien, Pyrenäen oder Alpen, …? Überall ist es schön, überall ist es hügelig, so viel steht schonmal fest, eine falsche Entscheidung können wir also vermutlich gar nicht fällen. Wir grübeln dann mal weiter über unsere Luxusprobleme, liebe Grüße an unsere Lieben!

Hinterlasse einen Kommentar